Neulich in Peter Island – Gastbeitrag

Ursula-Schmid

© Ursula Schmid

Neulich in Peter Island

von Michael Köhler

In einer wunderschönen Bucht in den British Virgin Islands geht gerade ein Boot vor Anker. Ein Ehepaar auf einem Charterboot. Käpt´n Salzbuckel läuft auch gerade ein, wartet kurz um dem vor ihm angekommenen Skipper Zeit zu geben sein Manöver fertig zu fahren. Während dessen nutzt er die Gelegenheit, ihr Manöver zu beobachten. 4 m tief ist es, also 5 m Kette, ist der Anker schon am Boden? Sorgfältig wird mit dem Finger auf der Kette geprüft, ob er noch ruckt – ja, er ruckt. Was tun? Vorsichtig Gas rückwärts, um ihn einzufahren. Erfolglos. Noch 2 m Kette dazu. Der CQR hat sich in einem Stein verhakt, die Kette ruckt nicht mehr. Nur nicht zuviel Gas, sonst könnte er ausbrechen – schnell den Gang heraus, der Skipper und seine Frau stehen am Bug um blicken minutenlang sorgenvoll ins Wasser, gehen dann zurück und öffnen ein Bier. Da dieses Manöver beendet erscheint fährt Käpt´n Salzbuckel zu seiner erwählten Stelle, lässt den Anker hinunter, 4,2 m tief, 25 m mal zum vorsichtigen Einfahren, noch mal 15 m mit Belastungstest – Vollgas rückwärts – Peilung steht, Anker hält. Nun die Hahnepot – 8 m lang – Gesamtkettenlänge 48 m. 4,2 + 1,1 (Wasseroberfläche bis Kettenrolle) x 8 = 42,4 besser ein bisserl mehr. Wie pflegte ein alter Weltumsegler zu sagen: „im Ankerkasten nützt die Kette nicht!“

Zurück zum Kapitän des ersten Bootes. Völlig fassungslos sieht er zu, wie die Kette bei Salzbuckels Boot hinunterrasselt. Sie waren schon im Cockpit gesessen bei einem Bier, wurden aber durch sein Manöver völlig verunsichert. Kann man das so machen? Vollgas rückwärts? Eine halbe Minute lang? Da macht man doch den Anker kaputt! Diese Gedanken stehen ihnen in die Gesichter geschrieben. Sie wandern vor zum Bug, der Griff zur Kette, nein sie ruckt nicht (wie auch – bei Windstille?) Aber der Nachbar hat sooo viel mehr Kette gegeben!? Sicher ist sicher, denkt sich der Skipper, noch 3 m dazu, die Kette rasselt ins blaue Wasser. Im briefing hat der Mann von der Charterbasis ihnen gesagt, wenn man Kette gelegt hat, kurz einfahren. Also, retour ins Cockpit, Motor starten, die Gattin wieder nach vor, Hand auf die Kette, vorsichtig Gas geben, Mist, zu viel, er rutscht – sie hatte ihn gewarnt! „Gib nicht zu viel Gas!“ Es wird in der Backskiste gekramt. Eine Taucherbrille erscheint, darunter der Kopf des Skippers. Er hüpft ins Wasser, seine Frau geht zum Bug um ihn moralisch zu unterstützen. Er schwimmt nach vor, bereits unmittelbar vor dem Bug hält er inne, schaut hinunter zum Anker und stellt fest, dass er sich nicht eingegraben hat. Völlig verständnislos geben sie noch mal 3 m mehr. Sicher ist sicher. Wieder wird der Motor gestartet, Standgas rückwärts, der Anker rutscht noch immer über den Boden. „Hättest du nur vorhin nicht so viel Gas gegeben, ich habe dich gewarnt.“ Die beste Ehefrau von allen ist sauer, er auch, der Haussegen hängt so schief wie der Anker am Boden. Haben Sie mitgezählt? 5 +2 + 3 + 3 = 13 Um den Vorhaltungen zu entgehen schnappt er wieder die Taucherbrille, schwimmt vor, sie geht zum Bug. Die Vermutung wird zur schrecklichen Gewissheit. Der Anker rutscht noch immer über den Boden. Also zum dritten Mal 3 m mehr, Motor starten, Rückwärtsgang – voooorsichtig! Er hält!

Um den Erfolg visuell zu überprüfen – ihn geradezu auszukosten den Triumph – schwingt er sich sichtlich erleichtert in die Fluten. Kaum kann der nach oben gerichtete Daumen, den er seiner Gattin zeigt, die Gefühle zum Ausdruck bringen, die derzeit sein Herz beflügeln. Wieder im Cockpit denkt er noch bevor er zum mittlerweile warmen Bier greift, an die Hahnepot des Nachbarn und die Empfehlung des Mitarbeiters der Charterfirma, nimmt die Leine mit dem Kettenhaken aus dem Ankerkasten, befestigt das eine Ende an der Kette, das andere an der Klampe und lässt noch mal 3 m Kette hinunter. 13 + 3 + 3 = 19. Kurz nach dem Manöver treffen sich die beiden Crews zum Ankerplausch. Der Charterskipper fragt Salzbuckel, wie viel Meter er gelegt hat – fast 50 – dessen Gattin darauf: „wir haben sogar fast 60!“ Er: „aber Fuß- nicht Meter!“

Text: © Michael Köhler – Solarwave

Bildquelle: Ursula Schmid