Klar zur Wende – Gastbeitrag
„Klar zur Wende“
von Harald H. Risius
Karl überlegt sich die richtige Taktik, schließlich haben die Verfolger inzwischen schon wieder aufgeholt. „Wenn du diesen Kurs so halten kannst, wirst du etwa vier Bootslängen südlich der Tonne bleiben. Das ist nicht gut, aber nicht zu ändern.“
„Jo“, meint Hinni. „Maak ick.“
„Dann wendest du und hältst auf die Tonne zu, so dass du mit einer Bootslänge Abstand östlich daran vorbeifährst. Wenn du innerhalb der Zone bist, haben wir automatisch Wegerecht vor den anderen Booten, die uns Wegerecht geben und somit nach Norden gegen den Wind ausweichen müssen, Regel 18.“
„Und was ist mit Geerd?“, fragt Renate und zeigt in Richtung der Tonne. Dort hat Geerd bereits gewendet und fährt auf seinem neuen Kurs zurück zur Tonne O 20 mit Wind von achtern, direkt auf sie zu.
„Hinni, wenden, schnell!“, schreit Renate. „Der rammt uns!“
„Ich dachte wir haben hier Wegerecht“, meint Hinni mit Blick auf Karl.
„Aber Geerd verlässt die Zone und wir sind noch nicht drin, da gilt das nicht und er hat Wind von Steuerbord, ist also auf Backbordbug.
„Aber er wird doch wohl abfallen“, brummt Hinni. Er ist sich aber nicht sicher. „Klar zur Wende!“
Zu spät! Während der kurzen Diskussion war Hinni einen winzigen Moment unkonzentriert und er hat die Moi Wicht bereits zu weit in den Wind gesteuert. Ein fataler Fehler! Der Jollenkreuzer ist schlagartig langsamer geworden und hat nun nicht mehr genügend Fahrt, um mit dem Bug durch den Wind zu drehen. Er steht mit flatternden Segeln und beginnt jetzt sogar rückwärts zu treiben. Hinni stellt das Ruder quer nach Backbord. „Fock back!“, schreit er. Renate springt auf, kriecht auf das schmale Seitendeck neben der Kajüte und versucht das Vorsegel mit der Hand in den Wind zu halten. Das Boot dreht sich tatsächlich, der Wind kommt nun von Backbord und füllt die Segel. Renate zieht die Fock auf die andere Seite und die Moi Wicht nimmt langsam wieder Fahrt auf. Aber zu spät und zu langsam!
Geerd hat fest damit gerechnet das Hinni die Wende rechtzeitig schafft. Er hat auf sein Wegerecht gehofft oder zumindest darauf, dass er die Moi Wicht knapp hinter deren Heck passieren kann, aber nun fährt er direkt darauf zu. Und bevor er sich entscheidet, ob und wie er ausweichen soll, passiert es!
„Deckung!“, schreit Renate und duckt sich tief ins Cockpit als der hohe und bedrohlich wirkende Bug der Scharhörn direkt vor ihr auftaucht. „Der bringt uns um!“
Auch Karl und Hinni schaffen es gerade noch auf den Cockpitboden, dann rauscht auch schon das Bugspriet der Scharhörn heran. Geerds Versuch, jetzt noch anzuluven, ist völlig ohne Wirkung. Er dreht zwar das Schiff nach Steuerbord, aber er kann nicht mehr verhindern, die Moi Wicht mit der Backbordseite seines Bugs zu rammen. Der viel leichtere und kleinere Jollenkreuzer wird einfach zur Seite gedrückt. Das kann aber die Fahrt und die Masse der fast zehn Tonnen schweren Scharhörn aber nicht wirklich bremsen. Das vorstehende Bugspriet verhakt sich hinter den beiden Backbordwanten und reißt sie einfach aus den Püttings. Die Wanten schwirren durch die Luft und klatschen an die Segel.
Der Mast hat nun keinen Halt mehr. Der Winddruck in den Segeln drückt ihn zur Seite und der Mastkoker bricht mit einem lautem und hässlichem Krachen. Die Scharhörn ist nun von den Wanten der Moi Wicht befreit, sie kann ihre Fahrt fortsetzen, schrammt an dem Jollenkreuzer vorbei und befindet sich plötzlich hinter deren Heck.
Einen Moment passiert nichts. Hinni, Karl und Renate hocken benommen im Cockpit und der Jollenkreuzer schaukelt ohne stabilisierenden Winddruck heftig in den Wellen.
„Himmelherrgottdonnerwetter!“ Renate kommt zu sich und begreift sofort den Ernst der Lage. „Was nun? Haben wir ein Leck?“
Text: Leseprobe aus: „Regatta mit Nebenwirkungen: Ein Ostfrieslandkrimi“ von Harald H. Risius
Bildquelle: Thomas Blasche Fotodesign
Dieser Gastbeitrag ist eine Leseprobe aus dem Buch „Regatta mit Nebenwirkungen“ von Harald H. Risius.
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